Der Traum der feministischen Operette
Regisseur Christian von Götz im Gespräch mit Dramaturgin Svenja Gottsmann
EINE FRAU VON FORMAT ist eine Operettenausgrabung von Michael Krasznay-Krausz. Wie bist du auf das Stück aufmerksam geworden?
Ich habe tatsächlich in meiner Plattensammlung eine alte LP gefunden, mit Musiknummern, die Fritzi Massary aufgenommen hat. Auf der Platte gab es einen Chanson, der mir besonders gefallen hat: „Nebenbei“ und ich wollte unbedingt wissen, aus welchem Stück die Nummer stammt. Dann habe ich recherchiert und den Stücktitel „Eine Frau von Format“ herausgefunden und irgendwann auch den Namen des Komponisten Michael Krasznay-Krausz. Dann habe ich bei dem einen oder anderen Verlag nachgefragt und letztendlich von Ricordi die Rückmeldung erhalten, es gäbe Material zu diesem Stück in Mailand. Schließlich bekam ich einen zerfledderten Klavierauszug zugeschickt, der übel gerochen hat und der mit Bleistift eingetragene dänische Untertitel enthielt. Später erhielt ich einen Scan eines alten, sehr schwer zu lesenden, in Frakturschrift verfassten Textbuchs und dieses war und ist die Grundlage für unsere Arbeit.
Was hat dir an dem Stück besonders gefallen?
Ich habe mich sofort in das Stück verliebt, weil es doch ungewöhnliche Themen anspricht, die aber unserem Zeitgeist voll und ganz entsprechen. Ich finde, Operette muss immer auch etwas mit uns heute zu tun haben. Gleichzeitig spiegelt das Stück den Zeitgeist der 20 er Jahre. Daher nenne ich diese Operetten auch gern „Zeitoperetten“, in Anlehnung an den Begriff der „Zeitoper“. Aber es ist auch erstaunlich, wie brandaktuell Themen wie Inflation oder Diversität, aber auch der Umgang mit dem immer stärker werdenden Rechtsruck heute gut 100 Jahre nach der Uraufführung sind. Deshalb haben wir ganz viele zeitgenössische Dinge und aktuelle Anspielungen eingefügt. Wir spielen zwar in den 1920ern, aber wir schlagen immer wieder die Brücke, die auf unsere Gegenwart verweist.
Es gibt aber auch viele kulturelle Klischees und Gender-Stereotype, die in dem Stück gezeigt werden, wie gehst du damit aus heutiger Perspektive um?
Wir haben versucht, diese Klischees zu überzeichnen. Grundsätzlich geht es ja darum, dass – oh Wunder – eine Frau den Diplomatenberuf ausübt und eigentlich alle Männer an der Nase herumführt. Du hast selbst im Prozess der Vorarbeit gesagt, dass wir davon ausgehen müssen, dass in diesem Stück – das muss man einfach akzeptieren – alle Männer Trottel sind. Das ist eins der Grundprinzipien des Stücks. Das haben wir besonders herausgestellt und überspitzt. Wir spielen auch darüber hinaus sehr viel mit den Genderklischees. Es gibt zum Beispiel zwei Figuren im Stück, die wir mit dem jeweils anderen Geschlecht besetzt haben: Der Kanzler Negrutzky, eine typische Buffo-Partie, wird von einer Frau, KS Dalia Schaechter, interpretiert und aus dem Haushofmeister Baron Manulescu haben wir die Baronin Manulescu gemacht, die mit einem Bass, Tobias Hieronimi, besetzt ist. Und wir haben im Chor oft die Gesangspartien der Damen und Herren vertauscht, wenn in dem Stück auffällige Klischees gezeigt wurden. Zum Beispiel stricken im Original die Damen, bei uns stricken aber die Herren auf der Bühne. Wir haben das Stück also noch weiter „gegendert“.
Du nennst das Stück selbst auch ein „spielwütiges und genderfluides Showspektakel“.
Ich liebe es einfach, wenn die Leute auf der Bühne um ihr Leben spielen und das ist in einer Operette ganz wichtig. Ich bin niemand, der versucht, das ganz große Einfühlungstheater zu starten, das sich die Darsteller*innen ganz in Ruhe erspielen. Ich möchte stattdessen, dass mit einer großen Spielwut und Radikalität agiert wird, mit starken Kontrasten, sodass die Komik oft dadurch entsteht, dass die Zuschauer*innen davon überrascht werden. Das Ganze muss ja auch den Geist der 20er Jahre, diese Wildheit und Frechheit, den Tanz auf dem Vulkan einfangen. Ich stelle den Sänger*innen gern Aufgaben, um eine theatrale Subversivität herzustellen. Oftmals sind diese Aufgaben so weit weg vom szenischen Zusammenhang, dass die Sänger*innen mich angucken und denken: „Das hat doch überhaupt nichts mit der Szene zu tun. Warum soll das jetzt passieren?“ Erst im Laufe der Arbeit merken sie, dass das natürlich auf einer anderen Ebene funktioniert, die die Szene konterkariert und Energie auf die Bühne bringt. Wir haben zum Glück eine großartige Besetzung, angeführt von Annette Dasch, und alle spielen um die Wette.
Wie arbeitest du mit dem Ensemble an einem Werk, das vermutlich keiner der Beteiligten vorher kannte? Wie entsteht da ein gemeinsamer Zugang?
Grundsätzlich hat so eine Art von Produktion immer den Charakter einer Forschungsreise. Das ist ganz anders als zum Beispiel bei einer „Fledermaus“, die jeder kennt und bei der jeder weiß, wie das Stück funktioniert. Deswegen haben wir zusammen, auch mit dem Musikalischen Leiter Adam Benzwi versucht, an dem dramaturgischen Ablauf zu arbeiten, sodass es in sich möglichst wirkungsvoll und auch triftig ist. Das gleiche gilt für die Arbeit mit den Sänger*innen. Man muss ganz viele Szenen auf der Probe erstmal erforschen und dadurch einen Materialberg erzeugen, der dann auch sortiert wird. Insgesamt ist der Arbeitsaufwand natürlich größer, als wenn wir bekanntes Gelände beackern. Aber umso aufregender ist es hoffentlich für alle Beteiligten, denn es ist eben etwas ganz Neues. Annette Dasch hat sogar ein Couplet, „Im Bereich der Möglichkeit“, selbst neu getextet. Es ist eine spannende und aufregende, gemeinsame Entwicklungsarbeit.
Das Bühnenbild von Dieter Richter geht auf einen Leitsatz zurück: „Beim Boulevard müssen die Türen klappen“.
Das ist ein einfacher Regieleitsatz aus dem letzten Jahrhundert, der für mich zum Mantra geworden ist. Boulevard war ja früher eine Art Schauspielgenre, eine bestimmte Art von Komödie. Das bedeutet, dass die Darsteller*innen ständig auf- und abtreten und immer in Bewegung sind. Und da habe ich gedacht, dass bei der „Frau von Format“ im wahrsten Sinne des Wortes die Türen klappen müssen und deshalb besteht das Bühnenbild aus sehr vielen Türen, die ständig geöffnet und geschlossen werden. Das bringt ein unglaubliches Tempo ins Stück und stiftet aber gleichzeitig auch eine produktive Verwirrung, die wir in dieser Operettenhandlung auch brauchen.
In dem Stück geht es darum, dass Ungarn und die Türkei um einen Handelsvertrag mit Silistrien konkurrieren. Was ist das für ein Staat, Silistrien?
Das ist ein Staat, der von einer Frau regiert wird, der Fürstin Petra und wir behaupten, dass die Frauen die Hosen anhaben. Und die Herren sind hingegen mit Handarbeit beschäftigt und stolz auf ihre handwerklichen Fähigkeiten und Produkte. Aber Silistrien ist auch gleichzeitig ein Staat, der von Korruption und Klüngel geprägt ist. Die Inkarnation davon ist der Kanzler Negrutzky. Die Figur versucht, Staatsgelder zu veruntreuen.
Und dann tauchen zwei Fremde auf: Die türkische Botschafterin Dschilli Bey und der ungarische Diplomat Graf Géza von Tököli. Wer sind die beiden? Was haben sie vielleicht gemeinsam?
Beide gehen komplett in ihrem Job auf und kämpfen für ihre Staaten. Das ist auch ein seltsamer Patriotismus, den beide an den Tag legen. Und beide unterdrücken dabei ihre eigentlichen Emotionen. Dschilli Bey will als Diplomatin der Türkei unbedingt diesen Handelsvertrag mit Silistrien abschließen und glaubt zurecht, dass sie das durch ihre Intelligenz, Schlauheit und diplomatische Raffinesse schaffen kann. Der ungarische Gesandte, Graf Géza von Tököli, wiederum hofft, dass er einzig und allein mit männlichem Charme und Schönheit und ohne besondere berufliche Kompetenz die Fürstin Petra einseifen kann, was natürlich nicht gelingt.
Finden Dschilli und Géza noch zueinander?
Das Ganze ist für mich auch ein Märchen und das wollen wir auch bedienen. Géza entwickelt sich im Laufe des Stücks vom extremen Chauvinisten hin zum sensiblen, Frauenkleider tragenden, auf einmal hochdeutsch sprechenden Mann. Und die Tatsache, dass er zu so einer Veränderung bereit und fähig ist, macht ihn für Dschilli interessant. Und dadurch kommt es zu einem Happy End. Operette darf auch Utopien aufzeigen, das, was sein kann und sein sollte. Es entwickelt sich nicht zwingend aus der Handlung und darf in der Szene auch durchaus wie „gemacht“ wirken.
Gehört zu solch einer Utopie auch der Slogan „The future is female“?
Ja, das war einer von unseren Leitsätzen für das Stück. Dieser Satz ist mir sehr wichtig, weil ich der Meinung bin, dass im Genre der Operette ganz oft chauvinistische und frauenfeindliche Klischees gezeigt werden. Ich möchte an einem Stück arbeiten, das diese Klischees auf den Kopf stellt. Der Traum der feministischen Operette ist das, was mich umgetrieben hat.